Solidarität IV

Aus der Geschichte kennen wir wenigstens vom Hörensagen, daß es Konzepte der Gastfreundschaft gab, die von wechelseitigen Verpflichtungen handelten. Das hieß: für jemanden Verantwortung übernehmen. In einigen Konventionen, wie zum Beispiel im albanischen „Kanun“, schloß das auch den erklärten Feind ein. War er Gast, mußte man bis zur Dorfgrenze für seine Sicherheit garantieren.

Wir haben vielfältige Traditionen, vom Familien- oder Stammesmitglied zu abstrahieren, um Wir-Momente zu schaffen, die über Clandenken hinausgehen. Im Überwinden von Nationalismen und in einem Ankommen Europas auf der Höhe der Zeit ringen wir nach wie vor mit der Neigung zum Eigennutz.

Ich vermute, die Idee von Solidarität ist eines solcher Konzepte. Nehmen wir für einen Augenblick an, ich wollte mich als Künstler solidarisieren. Mit wem? In welchem Modus? Was wären denn konkrete Kriterien? Sollte ich mich mit Glaubenssätzen vertraut machen und Esoterik bevorzugen? Wäre es besser, ich würde konkrete soziokulturelle Kriterien finden?

Ich vertrete ich nun seit so vielen Jahren, nein, seit Jahrzehnten, die Vorteile einer kollektiven Wissens- und Kulturarbeit. Blöd, daß dabei „Solidarität“ nie so richtig greifbar wurde. Ich probiere jetzt was:

+) Wir Künstlerinnen und Künstler müssen zusammenhalten. (So viel Gelächter hält mein Körper nimmer aus.)
+) Wir Freelancers im Kunstbereich müssen zusammenhalten. (Dafür sind wir zu wenige.)
+) Wir Männer müssen zusammenhalten. (Geht gar nicht!)
+) Wir Männer müssen mit den Frauen halten. (Geht auch nicht.)
+) Wir gegen rechts. Zusammenhalten! (Naja, links von Dschingis Khan ist immer noch sehr weit rechts. An wen soll ich mich nun halten?)
+) Wir Solidarischen müssen mit den Solidarischen halten! (Ja, das könnte gehen.)

Ist es denn tatsächlich so, daß ich beim Thema Solidarität bloß Glaubensgegenstände aus dem Regal ziehen kann? Nein, so komme ich in dieser Sache nicht weiter. Was also könnte ich nutzen, wo ich in mittel- und längerfristigen die Kooperation mit anderen Leuten über den Rang privater Sympathie erheben will? Wie und woraus mag ein berufsbezogener Zusammenhalt entstehen? Das Thema liegt mir eher.

Der Ausgangspunkt ist für mich stets die Frage, mit welchen Themen Leute gerade vorzugsweise befaßt sind. „Worin bist Du gut, weil es Dir als Thema zusagt und Freude macht?“ (Glauben Sie mir, es braucht auch einige Arbeit, um eine gute Frage zu stellen!)

Dann frage ich: „Haben wir bei diesen Themen Schnittstellen, Überschneidungen, Berührungspunkte?“ Irgendwas findet sich da immer. Das führt zur Frage: „Welche interessanten Arbeitsvorhaben ließen sich aus diesen Berührungspunkten ableiten?“ Haben wir darüber Klarheit, bleibt zu fragen: „Machen wir das? Falls ja, wer übernimmt dabei was? Wann legen wir los?“

Aus solcher Praxis kann dann sehr gut ein Zusammenhalt entstehen, dessen Tragfähigkeit über einzelne Arbeitsvorhaben hinausreicht. Es kommt nach meiner Erfahrung nicht durch das Predigen und Verlautbaren, es kommt durch gemeinsames Tun.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.