In guten Händen

Kommen Sie mit mir auf eine kleine Phantasiereise mit. Ein Gedankenexeperiment. Stellen Sie sich ein Bürogebäude in Graz vor. Wir besuchen eine Landesbedienstete der Kulturabteilung. Sie leitet ein eigenes Referat, wofür sie inhaltliche Schwerpunkte setzt, über ein Budget verfügt.

(Graphik: Heinz Payer)

Diese Landesbedienstete ist aber zugleich auch politisch engagiert. (Das muß uns allen freistehen.) Sie gehört eine politischen Partei an und hat eine Funktion in einer Kultureinrichtung dieser Partei. Politik und Verwaltung sollten zwar als getrennte Instanzen gut unterscheidbar sein, aber das ist Österreich. Das geht schon…

Außerdem ist diese Landesbedienstete offizielle Repräsentantin einer kulturellen Reform- und Protestgruppe, die über Österreich hinausreicht. Ein Schuft, wer hier das Potential zu Interessenkonflikten sieht: Verwaltung, Politik und Protestbewegung in einer Person vereint, das klingt irgendwie… praktisch!

Stellen Sie sich vor, die steirische Kulturgewerkschaft hat auch keine Einwände. Es muß also in Ordnung sein. Mehr noch, eine der engsten Freundinnen dieser Landesbediensteten gehört dem Vorstand der steirischen Kulturgewerkschaft an. Man darf selbstverständlich privat befreundet sein mit wem man will. Sowas sollte sich dann auch auf berufliche Belange förderlich auswirken.

Was haben wir nun in diesem Duo gebündelt? Verwaltung, Politik, Protestbewegung und Kulturgewerkschaft. Nein, mehr noch. Die gute Freundin ist eine bewährte Kulturmanagerin, hat seit vielen Jahren ein erfolgreiches privatwirtschaftliches Projekt am Laufen. Daher: Wirtschaft.

Nicht zu vergessen, daß sie auch ein transeuropäisches Projekt für den größten Museumskomplex des Landes realisiert, für einen Kulturkonzern, den wir im Alltag „Tanker“ nennen. (Ah ja, Europa! Das betrifft die Zuständigkeit der Landesbediensteten. Na, da kennen sich dann wenigstens beide aus.)

Wie sieht das Paket nun aus? Was ist alles drin, egal was drauf steht? Verwaltung, Politik, Protestbewegung, Kulturgewerkschaft, Privatwirtschaft, steirischer Kulturtanker und die EU. (Ja, so geht Networking!)

Ganz unter uns: Das ist smart! Da brauchst Du sonst niemanden mehr. Man kann immer nach außen mühelos ein bißl Programm fahren. Man spielt im engsten Kreis Vertrauter ein paar Bälle hin und her. Auch wenn es alte Bälle sein sollten, egal! In der Dokumentation und in der medialen Vermittlung sieht sowas immer besser aus als es ist. Immer!

Durch den vertrauten Kreis sind Störfaktoren eher unwahrscheinlich. Aber! Dazugruppieren! Das darf man nicht vergessen. Wegen der guten Optik. Damit das Geschlossene am Zirkel nicht gar so sehr irritiert.

Es gibt in Graz immer ein Reservoir höchst dankbarer Kräfte, die sich freuen, wenn sie bei so einem kleinen Netzwerkerl ab und zu andocken dürfen. Solche Leute werden den glatten Verlauf nicht stören, die interne Balance niemals kippen. (Nennen wir sie „Kulturreservisten“!)

Dazu zeigen sich autochthone Kräfte bereit, aber auch und vor allem zugewanderte Leute sind willkommen. Die bringen mehrfachen Nutzen ins Spiel. Gemeinsam pflegen sie das Gefühl: „Da bin ich an der richtigen Adresse und in guten Händen!“

So. Ich klatsche dreimal in die Hände. Und zack! Sie wachen wieder auf. Sowas gibt es bei uns nicht. Das war nur ein merkwürdiger Traum, wenn man vielleicht zu schwer gegessen oder zu viel getrunken hat.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.