Wegschweigen

Nennen Sie mich unbedingt Kulturoptimist. Pessimismus finde ich langweilig. Allerdings paßt mir vieles nicht. Und mir fehlt das Talent zur Diplomatie. Als junger Mensch hatte ich auf meinem Wappen den Satz „Nur keinen Streit vermeiden“ notiert. Das ist nicht übermäßig klug, weil man da viele Energie verfeuert, die oft nur magere Effekte liefert. Aber dieses Feuer der Jugend birgt für sich so seine Reize.

Künstler Niki Passath

Heute bin ich solcher Posen müde. Doch ich fühle mich behelligt, wenn mir jemand einen Mangel an Esprit zumutet. Wer mich dann noch an den Rand einer Depression drängen will, zeigt ein Defizit an intellektueller Selbstachtung und zack! Ich fühle die alte Angriffslust in mir.

Oder es kommt anders und ich hab einfach die Schnauze voll. Seit zehn Jahren erleben wir eine interessante Krise, die im Crescendo heraufgedämmert ist. Corona setzte eine Flagge drauf, damit es auch der letzte Depp versteht: die Dinge ändern sich gerade.

Aber nicht überall und nicht in allem. In der Steiermark hat sich das Korrumpieren von erheblichen Bereichen des geistigen Lebens durchgesetzt. (Vielleicht ist es ein gesamtösterreichisches Phänomen.) Da wird mancherorts Kulturpolitik simuliert. Da wird sogar der Kulturbetrieb simuliert. Da findet Diskurs genau nicht statt.

Oder: wann haben Sie zum letzten Mal ein anregendes Statement von Anita Hofer gehört? Künstlerin, so heißt es, Aktivistin sogar, vor allem: Vorsitzende der IG Kultur Steiermark. Ist sie das nach wie vor? Lebt sie überhaupt noch?

Wo wären nun Markierungen zu finden, die mir andeuten: ab hier geht es zu neuen Ufern, weil so langsam alles anders ist? Wo ertönt eine intellektuelle kulturpolitische Kraft, die mir was zu denken aufgibt? Wann wurden zuletzt Honoratioren der heimischen Kulturpolitik inhaltlich ein wenig gerüttelt und geschüttelt?

Als ich mit Musiker Oliver Mally vor Monaten anfing, ein paar Dinge konkret anzusprechen, und zwar öffentlich, dachten wir, das werde wenigstens irgendeine Resonanz haben. Null! Dieser Tage saß ich im Atelier von Künstler Niki Passath, um nach seiner Einschätzung des Status quo zu fragen.

Passath meint, derzeit würde alles, was nach Kritik riecht, was Unruhe bringen könnte, einfach weggeschwiegen. Das zeige sich auch unter den Kunstschaffenden selbst, die merkwürdige Abwehrreaktionen generieren, wenn wo in Frage gestellt wird, was wir da gerade tun.

Gut, ich verstehe das. Wir sind die Enkel und Urenkel von Untertanen. In Österreich gab es noch nie einen Hang zur Revolution. Die findet bloß verbal statt. In Salons, an Theken, in Ateliers, wenn niemand zuhört, der einen von Vorteilen abschneiden könnte. (Lampenputzer-Attitüden.)

Es gibt ein Bonmot, das aus der Unterhaltungsliteratur stammt, die Quelle habe ich leider vergessen: Der Sklave träumt nicht davon frei zu sein, er träumt davon Herr zu sein. (Wenn wir Sigmund Freud und Karl Kraus irgendwann verwoben hätten, wäre sowas rausgekommen.) Was nun? Na, wir sind nun einmal zu dritt damit beschäftigt, den Status quo zu erheben und zu kommentieren…

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.