Reste und Knochen

Wenn sich nun, da für uns primäre Kräfte eine Post-Corona-Ära schon vorstellbar ist, politische Kräfte etwas unübersehbar auf den Kulturbereich schmeißen, werde ich stutzig. Und weil ich längst einige Jahrzehnte im steirischen Kulturbetrieb absolviert habe, weiß ich: Wer vor dieser Krise und wer während diese Krise nicht an unserer Seite war, hat verdeckte Intentionen, falls er oder sie jetzt mit deutlicher Geste an unsere Seite tritt.

Meister der Täuschung: Kurze Zeit war ich der Lehrbub von Heinz Boxan

Mein erster Gedanke: sind andere Themenfelder so stark besetzt, daß du plötzlich unter der Flagge der Kultur ans Licht der Öffentlichkeit drängst? Ich darf außerdem festhalten: falls ich von jemandem noch so gar nichts gehört habe, auch meine Freundinnen und Freunde im Kulturbetrieb eher nichts gehört haben, dann muß das sowas wie ein „New Kid on the Block“ sein. Gut. Und weiter?

Überdies, arbeite ich nun seit Jahren am Thema „Die Ehre des Handwerks“. Bei den Hacklern und bei den alten Meistern wissen wir fünf bis zehn Minuten, nachdem ein Neuer die Werkstatt betreten hat, ob die Personen vom Metier einen Tau hat oder nur quasselt.

Kleiner Einschub: Wann immer ich etwas nicht weiß, frage ich. Aber auch die Frage verrät meist, ob man eine Ahnung hat oder völlig unbeleckt ist. Und wie verhält sich das in der Politik? Weshalb fallen mir gerade jetzt einige politische Akteurinnen und Akteure medial derart auf, Leute, von denen ich sehr lange nichts oder noch nie etwas gehört hab?

Restlessen
Ich denke, nun ziehen viele grad los, um zu schauen, was bei der abgeräumten Tafel an Resten liegengeblieben ist. Bald wird ein Gezänk um Reste und Knochen losgehen. Natürlich sind nicht bloß Trickster und Trittbrettfahrer aufgebrochen. Das betrifft nicht bloß die primären Kräfte der Kunstpraxis, der Kultur- und Wissensarbeit.

Eines der Dokumente, die natürlich gar nicht existieren.

Das betrifft auch Politik und Verwaltung, wo man ja Rechenschaft ablegen muß. Also will demonstriert werden: „Ich war tätig! Es hat was gebracht!“ Und wenn nix war, wird was konstruiert. So geht das!

Das würde natürlich keine leitende Referentin des Landes zugeben, auch kein Fraktions-Chef. Ich hatte schon vor etwa dreißig Jahren einen Streit mit einem Geschäftsführer, weil ich der Ansicht war, ich könne hier ein feines Kulturbudget verbraten, ohne was zu tun, außer etwas Büroarbeit zu leisten.

Nette Fotos, ein paar knackige Essays, Presse-Infos, Druckwerke kann ich mit aktueller Technik in Kleinstauflage raushauen: drei bis fünf Stück und paßt! Ein paar Berichte für die Regionalpresse schreibt man notfalls selbst, kriegt man leicht in die Blätter. Ein bißl Facebooken, ein bißl Twittern. Alles eigentlich nur zusammengeklittert und zack! Die Kohle gehört mir. Kein Problem. Selbst Rechnungslegungen und Zahlungsflüsse ließen sich simulieren. Dazu reichen ein, zwei verläßliche Verbündete.

Vergessen Sie nicht, ich war einige Zeit der Sekretär von Heinz Boxan, dem vormaligen Verwalter von Gut Herberstein. Herzchen, ich hab Dinge gehört und Papiere gesehen, da zieht sogar noch mein Mobiltelefon die Schamröte auf. Ergo traue ich Menschen mit guten Manieren und makelloser Garderobe allerhand zu. Nun also: schauen wir mal, dann sehen wir schon…

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.