Ernstl und die Agonie

Wie finde ich Klarheit, um ein bestimmtes Verhalten einzustellen? Wodurch merke ich dagegen, daß ich beharren und weitermachen sollte? „Du mußt doch ein Einsehen haben!“ Das klingt etwas antiquiert. Da kommt ein anderer Satz, den ich in der jüngeren Vergangenheit mit auf den Weg bekommen hab, besser auf den Punkt: „Du wirst dich fügen!“

Ich hab das letzte Jahrzehnt als Krisenzeit von bemerkenswerter Deutlichkeit erlebt. In den Jahren von 2010 über 2015 nach 2020 ist ein Umbruch mit erstaunlicher Vehemenz über uns gekommen. Aber noch erstaunlicher finde ich etwas… Wie soll ich es nennen? Eine Art gesamtgesellschaftliches Reaktions-Ensemble.

Manchmal denke ich: es ist Agonie.

Sowas wäre plausibel. Es weist viel darauf hin, daß Gemeinschaften zur Agonie tendieren, wenn sie in einer tiefen Konfrontationen mit aufkommenden Problemen erst einmal gescheitert sind. Ein zweites Aufraffen mißlingt gar nicht erst, sondern bleibt aus.

Ist das unsere heutige Situation im Kulturbetrieb? Das Funktionärswesen feiert Feste. Es werden großspurige Ansagen rausgehauen. Aber das bleibt alles so… Unscharf!

Ich bin kürzlich beim Räumen auf einen Zeitungsartikel gestoßen, der dem Ernstl nachgereicht wurde. Die Headline lautet: „Zeitlebens ein Unbequemer: Theatermacher Ernst M. Binder ist tot“. Das war der sicher. Unbequem. Aber wer feiert das? Wer wünscht sich das? Wo soll das sein?

Ich lese: „Freitagnacht ist Binder plötzlich und unerwartet von uns gegangen. Mit ihm verliert die Steiermark einen einzigartigen und kompromisslosen Künstler und Menschen. Einer, der schmerzlich vermisst werden wird.“ [Quelle]

Ah ja? Wer vermißt das und wie drückt sich das aus? Und dann verstehe ich: das ist eine landesübliche Andachtsübung. Es ist ein weiteres Beispiel für jene kulturelle Expropriation, mit der sich eine neue Bourgeoisie ihr Leben dekoriert.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.