Es will immer wieder betont werden: die Kunst muß nichts müssen. Und sie darf alles. Freilich ist die Freiheit der Kunst kein Synonym für Freiheit der Kunstschaffenden. Das sind zwei verschiedene Kategorien.
Ich kann mich in meiner Kunstpraxis mit keinerlei Einschränkungen befassen. Das wird mir aber in realer Gemeinschaft mit anderen Menschen unter Umständen Konsequenzen einbringen, die mir mißfallen.
Meine Autonomie in der Kunst ist keine Freistellung von den Konventionen. Egal! Grenzen wollen stets neu untersucht und auf ihre Haltbarkeit hin überprüft werden. Wir wissen, dieses Ausloten künstlerischer Optionen führt unausweichlich zu Kollisionen und Kontroversen… Außer man hat sich einem Kunstgenre verschrieben, das keine kontroversiellen Inhalte kennt.
Aber gibt es das? Hat man sich nicht über Van Gogh empört, weil er Blumen, Himmel und Sonnen malte, wie das als unpassend empfunden wurde? Was mag die Leute an den bewegenden Gemälden von William Turner aufgeregt haben? Sie wissen es, ich weiß es: irritieren Sie jemanden in gewohnten Sichtweisen, schon kann es Ärger geben. Mehr braucht es oft nicht.
Es sind dann die gleichen „Beruhigten Zonen“ menschlicher Wahrnehmung, aus denen viele Menschen nach Jahrzehnten der Linientreue erkrankt, auch traumatisiert herausfallen. Also was nun?
Ich habe letztes Wochenende zwei lebhafte Konferenzchen absolviert. Dabei konnte ich den Zustand unseres Teils der Welt einerseits mit Marketing-Experte Norbert Gall erörtern, andererseits mit Künstler Igor Petković. Die Grenzüberschreitungen sind da wie dort unverzichtbar.
Igor Petković (rechts) und Tito
Wir sind uns einig, daß Kollisionen mit Konventionen unausweichlich bleiben, weil sich sonst am Lauf der Dinge nichts ändern, nichts bewegen würde. Also Pose gibt das aber nichts her. Als Effekt der konsequenten Arbeit an Themen und Aufgaben ist es Standard.
Das heißt, die Kollision ist ein Effekt, aber kein Inhalt. Die Kontroverse ist eine Art Diskursraum. Es mag ja sein, daß manche Leute meinen, man könne Menschen belehren oder die Gesellschaft bewegen. Ich glaube nicht an solche Konzepte. Seit der griechischen Tragödie hat die Erzählung mehr Wirkung als das Tribunal. Damit meine ich: es ist nicht Sache der Kunst eine Gerichtsverhandlung abzuhalten.
Wir erzählen einander die Welt. Wir ziehen daraus Schlüsse. Oder auch nicht. H. C. Artmann hat für sein Genre, die Literatur, im Jahr 1953 eine „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes“ verfaßt. Darin lautet eine Passage: „2) Der poetische Act ist Dichtung um der reinen Dichtung willen. Er ist reine Dichtung und frei von aller Ambition nach Anerkennung, Lob oder Kritik.“
Das korrespondiert mit der antiken Empfehlung, Erkenntnis solle sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Wer sowas gerne als L’art pour l’art etikettiert und folglich als eher nutzlos denunziert, hat erstens nicht verstanden, was symbolisches Denken als besondere Eigenart unserer Spezies bedeutet, neigt zweitens dazu, sich einer völligen Durchökonomisierung des Lebens anzudienen. Das kann man machen, besonders klug erscheint es mir nicht.