Wasserträgerei

Ich sollte jetzt den Sack vorerst einmal zumachen. Ich hab mein Milieu mit ein paar Stichworten versehen und hoffe immer noch auf fundierte Einwände. Es wäre ja interessant, diese Themen in den öffentlichen Diskurs zu bekommen. Welche Themen? Na, diese: a) Appropriation, b) Das Machiavelli-Prinzip, c) Josephinismus 2.0? d) Krusches Kontinentaltheorie und e) Kunst muß provozieren?

Fehlt noch das mit der Wasserträgerei. Ein Effekt der Verschnöselung unserer neuen Bourgeoisie, die sich für die nächste Bohème hält. Oder wie ich gerne sage: eine Bildungsbürgertum, dem die Bildung zu blöd geworden ist.

Wenn ich von „Verschnöselung“ spreche, dann meine ich damit ein Auseinanderfallen von Wissen und Meinung. Klar, der Schnösel nennt mich „abgehoben“, wahlweise „elitär“. Es kommen auch weniger freundliche Zuschreibungen vor.) Dabei folge ich bloß einem simplen Prinzip. Ich hab doch selbst auch zu allem, was mich erreicht, eine Meinung. Aber ich werde mich anderen gegenüber oder auch medial nur zu Themen äußern, mit denen ich mich eingehender befaßt hab.

Ich war vermutlich nicht immer so. Rang spielt in unserer Kultur eine enorme Rolle. Es ist daher ziemlich plausibel, daß sich jemand aufplustert, wo es an Statur fehlt. Wenn ich in dieser Frage heute zurückhaltender handle, dann sicher nicht, weil mich Moral überrannt hätte. Es hat eher pragmatische Gründe.

Seit Jahrzehnten bin ich mit Hacklern befaßt, auch mit Fragen nach der „Ehre des Handwerks“ beschäftigt. Bei guten Leuten ist es so: wenn du da das Maul aufreißt, wo du eigentliche keinen Tau hast, sondern nur eine Meinung, gehst du diesen Hacklern sehr schnell auf die Nerven. Es ist, wie Joseph Beuys einmal notierte: „wer nicht denken will, fliegt raus. (von selbst)“

In der Welt der Petrol Heads kursiert ein amüsantes Bonmot: „Du denkst, daß Du klüger bist als Deine Vorfahren? Früher stand in der Betriebsanleitung für ein Auto wie man die Ventile einstellt. Heute steht drin, daß man den Inhalt der Autobatterie nicht trinken soll.“

Was ist geschehen? Sucht sich die Klugheit bloß neue Themen und gibt alte Kompetenzen auf? Oder kann es sein, daß eine Gemeinschaft verblödet? Ich hab darüber keine Klarheit. Dank Social Media erreicht mich heute mehr denn je Geschwätz, Gezänk, auch ausgemachte Blödheit. So geht das mit der Demokratisierung von Medienzugängen.

Früher stand man erst einmal bei Türhütern an, falls man den Luftraum über seinem Stammtisch verließ, um der Welt etwas mitzuteilen. Print, Radio, TV, überall Redaktions-Teams, von denen man sich bezüglich eigener Sachkenntnis und Relevanz überprüfen lassen mußte. Das Ergebnis entschied dann, ob man an den Gatekeepers vorbeikommen werde oder nicht, ob man sich der Welt mitteilen dürfe oder nicht.

Heute: alles brüllt. Es genügt ein abgeschlossenes Youtube-Studium. Ich beklage das gar nicht. Mir scheint, eine Demokratie müsse damit zurechtkommen, zumal unsere Leute schon schlechtere Verhältnisse gewohnt waren.

Freilich irritiert es mich gelegentlich, wenn ich diesen oder jenen Facebook-Kontakt sehe, da gibt es jeden Tag frische Links zu irgendwelchen ergreifenden, wahlweise extrem wichtigen Artikeln, Interviews oder Videos. Also keine eigenen Statements, sondern das Ausposaunen geborgter Ansichten. Dieses Heldentum des Wasserträger-Zeitalters rührt mich.

Mir wäre es schon mit dreizehn, vierzehn Jahren nicht eingefallen, daß ich mich von jemandem herumschicken lasse: Zettel kleben, Flyer verteilen, also die Botschaften anderer in die Welt tragen. So eine Art heidnische Zeugen Jehovas, die jeden ansudern, der nicht schnell genug davonläuft. Heute sehe ich gebildete Leute in derlei Posen. Wasserträgerei. Sich wichtig machen, indem man wichtige Botschaften von wichtigen Leuten ausstreut.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.