Appropriation

Zu den schon etwas abgeschundenen Krusche-Mantras gehört dieser Satz: „Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon wir reden.“ Ich hab mich an verschiedenen Stellen mit dem „Mythos Solidarität“ befaßt und mit dem Gerücht von einer „Initiativenszene“, über die ich heute nicht mehr genau zu sagen weiß, was das ein möchte.

Ich bin seit zirka 1975 aktiver Teil dieses Genres, dem Kulturbetrieb quasi in teilnehmender Beobachtung verbunden. Heuer kam ich einige Male aus dem Staunen nicht heraus, wo in laufenden Debatten zu hören war, wer alles sich mit seiner Formation der „Initativenszene“ zurechnet.

Ich neige zur Ansicht, wir – dieses Milieu – haben längst eine Art des soziokulturellen Kameradschaftsbundes hervorgebracht, in dem sich manche Leute gemäß den „wilden Jahren“ und gehabter Scharmützel definieren, auch wenn sie längst woanders angekommen sind.

Gedankenspiel
Wollen wir das einmal durchspielen? Sie haben ein fixes Haus mit seinen Betriebskosten; und sei es nur eine größere Altbauwohnung, die mit kulturellen Vorhaben bespielt werden kann. Das verlangt Betriebskosten. Es braucht technische Ausstattung, die auch gewartet werden muß. Dazu kommt ein Veranstaltungsbudget. Ferner eventuell ein, zwei Vollzeitkräfte, plus wenigstens eine Teilzeitkraft, schließlich – anlaßbezogen – auch öfter Kräfte auf Werkvertragsbasis.

Ist das nun kein staatsnahes Unternehmen, müssen Sie all diese Kosten a) beim Publikum erwirtschaften und b) über Sponsoren hereinbekommen, vielleicht c) durch Spenden auffetten. Sie werden auch d) durch Dienstleistungen in anderen Bereichen eventuell Budget lukrieren, also etwas „dazuverdienen“. Klar? Klar!

Falls das aber nicht zu schaffen ist und daher eine Kofinanzierung durch öffentliche Gelder so erheblich ausfällt, daß auf diesem Weg der laufenden Betrieb gesichert werden kann, falls also hauptsächlich Steuergelder als direkte Subventionen für den Bestand der Einrichtung sorgen, wahlweise andere Ressourcen als Cash von Stadt, Land oder Bund, ist das aus meiner Sicht ein staatsnaher Betrieb. Es ist keine Formation der „freien Initiativenszene“.

Zwangsläufig muß eines der Kriterien zur sozialen bzw. soziokulturellen Standortbestimmung lauten: woher kommt des Gros der Ressourcen, um etwa den Jahresbetrieb zu gewährleisten? Davon läßt sich noch keine inhaltliche Bewertung ableiten. Aber strukturelle Klarheit.

Diese Fragen verweisen für mich auf ein Teilthema, das ich in meinem Milieu weitgehend vermisse: kulturelle Aneignung. Ich sehe spätestens zwischen 2010 und 2020 allerhand Phänomene, die nach meinen Kriterien in dieses Genre gehören: Appropriation.

Ich wundere mich, daß wir unser Metier dahingehend noch nicht untersucht haben; zumindest kennen ich keinen Diskurs, der solchen Fragen nachgeht. Wie etwa aus unseren eigenen Reihen Leute kamen, die unsere kulturelle Nische gelegentlich einfach plündern und die ursprünglichen Quellen demonstrativ verachten. Ich denke, da liegt Arbeit vor uns.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.