Solidarität II

Es dürfte schon deutlich geworden sein, daß ich ansatzlos skeptisch werde, wenn jemand das Wort Solidarität wie eine Flagge vor sich herträgt. Aber was dann, wenn man diese Kategorie als Relikt betrachten müßte? Natürlich gibt es nächste Klarheiten.

Ich stoße mich nicht daran, daß es jemand das Wort Solidarität im Alltagsdiskurs als Terminus verwendet, wie man auch Bekanntschaft oder Freundschaft sagt. Soll sein. Aber als kulturpolitischer Kampfbegriff ist das ein Witz. Und als Unique Selling Proposition einer Kulturinitiative kaufe ich es niemandem ab.

Es liegt nur einer der Gründe in den mehr als vierzig Jahren Praxis, die ich bisher als Teil des Kulturvölkchens absolviert habe. Wie schon erwähnt, daher kenne ich Solidarität bloß als zeitlich und räumlich begrenztes Phänomen, aber nicht als etwas, das eine ganze Community kennzeichnen würde.

Ich hab auch noch andere Gründe, die mir recht interessant erscheinen. Durch zwei laufende Projekte bin ich wieder regelmäßig auf dem Weg über die Dörfer, hab mit Provinzbürgermeistern und mit exponierten Personen zu tun. Da frage ich nach solchen Aspekten. Der Gemeinsinn im Gemeinwesen, wie er als ein Phänomen im Kontrast zum Eigennutz steht.

Das spielt bei den „Wegmarken“ eine Rolle, wo es um Klein- und Flurdenkmäler geht, die fast ausschließlich auf privater Initiative beruhen und vielfach aus alten Dorfgemeinschaften hervorgingen.

Das spielt auch bei meiner Themenleiste “Die Ehre des Handwerks“ eine Rolle, wobei ich da wie dort jene Momente meide, wo eine verpeilte Auffassung von Volkskultur die Themen anderen Zwecken unterordnet.

Ich mache es kurz. Gemeinsinn ist rasant geschwunden, der Eigennutz gewinnt sprunghaft Terrain. Selbst Traditionsformationen wie die Freiwillige Feuerwehr leiden darunter. Einer der auffindbaren Hauptgründe ist das Vermeiden von Verantwortung. Entscheidungen treffen und für deren Konsequenzen einstehen. Da mangelt es in vielen Bereichen. (Flüstert grade jemand: Auch in Politik und Verwaltung?)

Würde ich mich in einem soziokulturellen Kameradschaftsbund wohlfühlen, könnte ich am Begriff Solidarität festhalten. Fahnen schwenken, mit Orden klimpern, Pfefferminztee trinken und zwischendurch ein Gläschen Sherry… Kann man machen.

Ich ziehe es aber vor, die Höhe der Zeit zu erkunden. Da finde ich gute Gründe für eine kollektive Wissens- und Kulturarbeit, die in wechselhaften Allianzen geschieht. Sie wird dort gedeihen, wo der Leistungsaustausch zwischen Beteiligten ein Fließgleichgewicht hat. Das muß man nicht mit der Goldwaage regeln. Über den Daumen peilen reicht völlig.

Aktive Anwesenheit und adäquates Kommunikationsverhalten, wo sie sich mit Paktfähigkeit treffen, dürften das ermöglichen, was wir früher für Solidarität hielten. Aber wir befinden uns nimmer im 19. Jahrhundert.

Arbeiterbewegung, Frauenbewegungen, das hat alles neue Formen in neuen Situationen gefunden. Ob es in LGBT-Communities noch klassische Solidaritätsvarianten gibt, kann ich mangels Sachkenntnis nicht beurteilen. Aber beim steirischen Kulturvölkchen gibt es sie garantiert nicht.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.