Seit man in Europa begonnen hatte, Recht zu kodifizieren (Stichwort: Römisches Recht), ringen unsere Leute um eine spezielle Abstraktionsleistung. Ich habe private Bindungen, habe verwandtschaftliche Beziehungen, kann einem beschreibbaren Clan zugerechnet werden. Vielleicht verstehe ich mich sogar als Teil einer Dorfgemeinschaft oder wenigstens eines Grätzels, eines Bezirks im urbanen Raum.
Aber diesen Bindungen steht noch ein anderes Konzept gegenüber: vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Wir sind alle Bürgerinnen und Bürger, vorzugsweise eines Staates, besser nicht staatenlos. Bürgerrechte sind bei uns an die Staatsbürgerschaft gebunden, letztlich aber seit jeher die Menschenrechte auch.
Drehen Sie es, wie sie wollen, Menschenrechte kann jemand ohne Staatsbürgerschaft so gut wie gar nicht durchsetzen. Das zeigt Europa zum Beispiel gerade wieder in einigen griechischen Momenten. Die Bürgerin. Der Bürger. Eine politische Kategorie, die eine prinzipielle Gleichheit der Menschen in den Kontrast zu allen anderen Arten von Bindungen stellt.
Der Staat ist – politisch gesehen – ein Ordnungssystem, dessen Personal zwar sicher nicht ganz ohne Selbstzweck auskommt, so puristisch sind menschliche Gemeinschaften kaum, aber wesentlich sollte dieses Personal den Staatsbürgerinnen und -bürgern deutlich mehr zuarbeiten als den eigenen Institutionen. (Einen so plüschigen Begriff wie „Staatsdiener“ will ich gar nicht erst strapazieren.)
Ich denke aktuell gerade darüber nach, ob wir erneut zum Josephinismus neigen: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk!“ Reformen nur von oben. Und so gut es geht noble Distanz zum Pöbel. Das passende Bonmot dazu stammt aus der Welt der Unterhaltungsliteratur: Der Sklave träumt nicht davon frei zu sein, sondern Herr zu sein.
Da habe wir also einige Arbeit vor uns, denn mir scheint, a) Politik und Verwaltung sowie b) Zivilgesellschaft sind längst wieder in zwei verschiedene Sphären auseinandergefallen. Das ergibt eine politisch brisante Situation, zu der ein anderes Bonmot paßt: Das Einzige, was stört, sind die Bürgerinnen und Bürger. (Das wäre dann Josephinismus 2.0.)