Ich bin hier bei den Übüs im Rang eines Redakteurs an Bord gekommen und die Logbuch-Kennung weist den Begriff „Dorf 4.0“ auf. Das hat mit dem alten Denkschema „Zentrum/Provinz“ zu tun und mit dieser sozialgeschichtlichen Merkwürdigkeit, daß wir immer noch nicht umfassend revidiert haben, was in antiquierten Posen für uns prägend war. Nämlich: ein Ort wird zum Zentrum, indem er seine Peripherie zur Provinz macht und von dort laufend Ressourcen abzieht.
Das Muster reicht vom Kolonialismus bis zu banalen Dorfgeschichten der Gegenwart. Es hätte in unserem Lebensraum mindestens durch folgende Kräftespiele aufgehoben werden müssen:
+) Leistungsfähige Verkehrsnetze plus die umfassende Volksmotorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg.
+) Weitreichende Sicherstellung von Literarität im Kielwasser intensiver Bildungsmaßnahmen.
+) Die Digitale Revolution der 1970er Jahre und die neuen Formen von Telekommunikation und Telepräsenz via Internet in den 1990er Jahren.
Das hätte auch mindestens im Kulturbereich durch angemessene Diskurse und Bemühungen um diverse Formen der eigenständigen Regionalentwicklung markante Verschiebungen erfahren müssen. Hat es aber nicht; zumindest nicht ausreichend.
Ich hab – im Gegenteil – gesehen, wie spätestens in den 2000er Jahren an vielen Provinz-Orten die alten Schemata der Zentralisierung reproduziert und weitergeschrieben wurden. Das erinnert mich an ein Bonmot: „Der Sklave träumt nicht davon frei zu sein, sondern Herr zu sein.“ Eine Falle, die Zukunftsfähigkeit kostet; davon bin ich überzeugt.
Meine Zusammenarbeit mit den Übüs und mein Gastspiel als Redakteur auf deren Website hat mit all dem durchaus zu tun. Vater und Mutter Übü leben im Landeszentrum, ich in der Provinz. Persönliche Mobilität plus Internet-Präsenz erlauben uns, das alte Denkschema „Zentum/Provinz“ ins Museum zu schieben.
Aber was hat es mit der Formulierung Dorf 4.0 auf sich? Die habe ich vom sozialgeschichtlichen Hintergrund meines konkreten Lebensraumes abgeleitet. So ergab sich dieses Schema deutlich unterscheidbarer Phasen:
+) Dorf 1.0: Die alte agrarische Welt.
+) Dorf 2.0: Umbrüche durch eine teilweise Industrialisierung der Region.
+) Dorf 3.0: Das Agrarische, Industrielle und Urbane hat sich in den Dörfern verzahnt.
+) Dorf 4.0: Die Vierte Industrielle Revolution ändert das alles völlig.
Worin und wohin sich alles ändert, ist stellenweise noch ganz unabsehbar. Es ist nicht Sache der Kunst, das zu klären, denn die Kunst dient nur sich selbst. Aber es ist ein gewichtiges Thema in Bereichen der Wissens- und Kulturarbeit, mit der wir befaßt sind. Dabei zeigt es sich als nützlich, daß sich viele Erfahrungen, die Vater und Mutter Übü gemacht haben, von meinen deutlich unterscheiden.