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werkraumtheater fade out – übüFamily fade in | Interview mit Bettina Leitner | 05.01.2021

Frage: Das Grazer werkraumtheater wurde im 25. Jahr seines Bestehens aufgelassen. Was ist passiert?

Antwort Rezka Kanzian: Das Pandemie-Jahr 2020 war auch für uns mit sehr großen Veränderungen verbunden, die natürlich Mut erfordert und viel Kraft gekostet haben. Durch diese ganz neuen Verordnungen und Regeln haben wir erkannt, dass es nicht mehr möglich ist, unser Studio in der Glacisstrasse 61A weiterzuführen. Abgesehen von der coronauntauglichen Enge der Räumlichkeiten muss man sagen, dass wir das Studio auch aus Eigenmittel finanziert haben. Hinzu kommt noch der immense zusätzliche Organisations- und Verwaltungsaufwand. Damit kommt man finanziell und energetisch an seine Grenzen. Es war eine sehr schwere Entscheidung, aber im Nachhinein gesehen, war dieser Schritt richtig.

Antwort Franz Blauensteiner: Das war aber sehr strittig unter uns. Es war wie eine Amputation. Es war ja eine Verortung, um die wir sehr gekämpft haben. Wir hatten ja die Räumlichkeiten, damals beim Einzug, auch selbst renoviert und adaptiert. Und vor allem konnten wir im eigenen Studio über Monate ein Stück spielen. Und uns parallel dazu um die Bewerbung kümmern. All das ist jetzt nicht mehr möglich. Aber jedes Ende, so scheint es, …

Kanzian: … ist ein Anfang. Man versucht sich in der Krise neu zu erfinden.

Blauensteiner: Unser neues Format hat mit dem Gedichtband „Angst“ von Mutter Übü (Lyrik von Rezka Kanzian) begonnen. Sie war schwer krank, hatte Brustkrebs, und diese lebensbedrohende Situation hat ihren Ausdruck in den Gedichten gefunden. Aufgrund des Lockdowns musste auch diese Veranstaltung unseres Jahresprogrammes abgesagt werden. Da habe ich gesagt: Jetzt „verfilmen“ wir diese Gedichte: Also wir machen eine digitale Lesung! „Gedreht“ wurde mit unserem Tablet. Indoor z.B. im Badezimmer, der Waschküche und auf dem Balkon. Und Outdoor auf ausgesuchten Spaziergängen, an der Mur …

Kanzian: … es war der Beginn unserer digitalen Transformation.

Frage: Auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen wie facebook und YouTube kann man seit einigen Monaten immer wieder neue Episoden aus dem sogenannten Theaterfilm „Die Übüs in Ketten“ sehen. Welches Konzept steckt hinter dem neuen Format?

Antwort: Nun, wir haben beschlossen uns in Zeiten wie diesen auf digitale Medien zu konzentrieren, die für uns verfügbar und leistbar sind. Da wir als „Theaterleute“ keine explizite Film-Erfahrung haben, und wir nur auf das Learning-by-Doing Modell zurückgreifen können, hat sich für die Benamung unseres neuen Genres der Ausdruck „Low Budget Wild Style Movie“ erschlossen. Wir verwenden eine 8 Jahre alte Panasonic HC-X909 Videokamera und ein kostenloses Schnittprogramm. Unser Projekt „Die Übüs in Ketten“ wird als „Theaterfilm“ ausgewiesen, als eine Verbindung aus Theaterstück und Fernsehspiel. Aufgrund unserer finanziellen Situation machen wir alles selbst – und daraus entstand das Movie-Design: übüStyle.

Was ist der übüStyle?

Frage: Was ist der übüStyle?

Antwort: Im März gab es auf ORF Steiermark heute einen Bericht über unsere Arbeit. Und wir dachten, wenn der Profi-Kamermann, also Erhard Seidl, sieht wie wir arbeiten, wird er uns auslachen. Aber er war schwer begeistert und meinte wir sollen einfach in unserer übüStyleArt weitermachen. Er gab uns tolle Ratschläge und Tipps. Für diesen unerwarteten Support sind wir ihm nach wie vor sehr dankbar!

Frage: Worin liegen konkret die Unterschiede zwischen einem klassischen Bühnenstück – hier „Die Übüs in Ketten“ – und dem entsprechenden Theaterfilm?

Antwort: Im Theaterstück „Die Übüs in Ketten“ finden sich die Übüs völlig verarmt in „Europopolis“ wieder. Sie können nicht so weitermachen wie bisher und beschließen es mit einer bürgerlichen Existenz zu versuchen. Als neue Selbständige, sogenannte Kleinunternehmer, wollen sie ihre unkonventionellen, sprich grotesken Übü-Dienstleistungen an den Mann bzw. die Frau bringen. Wie z.B. „Die Absaugung des Gehirns“ u.ä. Und das wird natürlich zum Desaster.

Aber als „MeisterInnen des Scheiterns“ lassen sich die Übüs durch solche kleinen Widrigkeiten und Irritationen nicht entmutigen. Deshalb entwickeln sie die Idee, sich im Land der Freiheit freiwillig „zwangszuverknechtschaften“. D.h. die Übüs entführen äußerst erfolgreiche „Freiheitsunternehmer“, also sehr reiche Vips, besetzen deren Villa, machen sich selbst zu „ungewollten“ Dienern und ordnen sich damit scheinbar unter. Aber das Verhältnis von Herrschaft und Dienerschaft wird damit völlig umgekehrt. Man könnte anstatt Dienerschaft auch Herrschaft und Volk sagen. Jedenfalls entfachen die Übüs mit ihrer Vorgehensweise eine Revolution von unten.

Das klassische Theaterstück „Die Übüs in Ketten“ spielt mit dem Begriff der Freiheit. Alfred Jarry rührt mit seiner grotesk-absurden Logik, gemäß dem Prinzip der Umkehrung, an den Wertvorstellungen des Bürgertums.

Würde man einen Kinofilm drehen, bräuchte man viel Location. Beispielsweise eine Villa, einen Gerichtssaal. Viel Ausstattung, Requisite, Schauspieler, ein Filmteam und vor allem Equipment. Da uns dafür das Produktionsbudget fehlt, machen wir aus der Not eine Tugend. Dabei nützen wir den öffentlichen Raum, aber auch diverse Räumlichkeiten, die uns kostenlos bis kostengünstig zur Verfügung gestellt werden. Vorrangig in der Stadt Graz und in der Steiermark. Wir setzen auf Reduktion, Minimalismus und u.a auf unsere Küche als Greenscreen-Studio.

Die übüFiguren

Frage: Hat dieses neue Konzept auch Auswirkungen auf die Übü-Figuren per se?

Antwort: Ja, die Übüs haben sich sozusagen selbständig gemacht, sich vom Autor-Vater Alfred Jarry gelöst, wie eine Schlange, die sich häutet und das vorgegebene literarische Korsett wurde erweitert bzw. erneuert.

Mittlerweile verstehen wir die Übüs als unsere Alter Egos, mit denen wir uns gut identifizieren können und die uns durch die Corona Krise helfen.
Der Wettlauf um das künstlerische Überleben ist voll im Gange: Wer schafft es trotz Krise weiterzuarbeiten, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, das Publikum bei der Stange zu halten? Und vor allem stellt sich die Frage, was kommt? Welche Auswirkungen wird die Krise nach sich ziehen?

Für uns, die Übüs, stellt sich damit die immer wieder kehrende Frage? Ist es nicht endlich an der Zeit für tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaft, sowohl politisch als auch wirtschaftlich? Die Kluft zwischen Arm und Reich wird ja immer größer, hinzu kommt der Klimawandel, usw., usw. Oder geht es einfach weiter wie bisher? Und rette sich wer kann!

Frage: Welche Chancen und Gefahren birgt die durch die Corona Krise beschleunigte Digitalisierung der Kulturbranche?

Antwort: Erstmals sei gesagt, es herrscht bei Jedermann- und frau Verunsicherung. Denn wir stehen alle vor einer Wegkreuzung. Man weiß noch nicht so genau wohin man angesichts der Situation gehen will und vor allem gehen soll. Denn da gibt es ja noch so etwas wie einen „Subventionsgeber“ und dessen kulturpolitische Ausrichtung und Einflussnahme. Zurück können und wollen wir auch nicht. Aber der von uns neu eingeschlagene Weg ist noch Neuland. Wir beschäftigen uns also nicht mit den Gefahren der Digitalisierung, sondern sehen darin eine Herausforderung. Und benennen diese neue künstlerische Auseinandersetzung: übüStyle-digitalArt.

Frage: Was bedeuten die Übüs für jeden von Ihnen persönlich?

Antwort Rezka Kanzian: Man fühlt sich oft hilflos, von den Ereignissen der Welt überfordert, auch angesichts der enormen Informationsflut, der man sich ja kaum entziehen kann. Und macht sich natürlich große Sorgen. Vor allem um die Zukunft. Die Übüs sind ausserhalb dessen: Sie kennen keine „Sachzwänge“, die viele Möglichkeiten schon im Keim ersticken. Die Übüs erschaffen mit pataphysischer Phantasie Gegenentwürfe als Lösungsvorschläge. Sie haben Witz und Eigensinn und die herkömmliche Logik und Vernunft spielen für sie dabei keine so tragende Rolle.

Antwort Eugen Fasching: Die Übüs repräsentieren für mich Neugierde. Sie sind in diesen Zeiten mein Lebenselixier. Außerdem gibt die Absurdität der Übüs gerade mehr Halt, als das, was draußen in der Welt gerade abgeht. Die Übüs haben im normalen Sinne keinen Glauben, aber feiern aufgrund ihrer Meisterschaft in der Kunst des Scheiterns eine immer wieder kehrende Auferstehung von Zuversicht.

Antwort Franz Blauensteiner: Für mich sind die Übüs Zeichen für eine neue Entwicklung, eine innere Reaktion auf die von außen geprägte Situation. Auch die sogenannten abgesicherten „Wohlstandsmenschen“ werden plötzlich bedroht. Und nun befinden wir uns alle im gleichen Boot und rudern in eine ungewisse Zukunft. Das vereint und fordert ein Umdenken, auch in den Bereichen der Kunst und der Kultur.

Frage: Trotz der Schwierigkeiten versuchen sie in dem herrschenden Dilemma als KünstlerInnen einen gangbaren Weg zu finden. Gibt es bereits die ersten Reaktionen auf das neue Format?

Antwort: Bekannterweise liegt ja der Weg unter unseren Füßen und egal wohin uns dieser Weg auch führt, wir gehen weiter. Denn der Weg ist das Ziel. Ergo freut es uns umso mehr, dass wir mit unserem Konzept Theater im Internet und die Übüs-Live, sowohl inhaltlich als auch quantitativ angenommen werden. Seit April 2020 haben wir nur auf YouTube einen Zuwachs an Wahrnehmung in der Höhe von 7500 Zugriffen. Hinzu kommen noch einige 1000 Zugriffe über facebookWatch. Das sind für uns gewaltige Dimensionen, denn mit Theateraufführungen hätten wir das nie erreicht. Es ist unbedingt auch zu erwähnen, dass all unsere Ressourcen in diese Arbeit eingebracht wurden.

Frage: Nachdem das neue Konzept vor allem auch online sehr gut aufgenommen wird, lohnt sich ein Blick in die Zukunft. Gibt es bereits neue Ideen, Visionen?

Antwort: Ein Werk in zwei Formaten präsentiert in zwei unterschiedlichen Welten. Unser neues hybrides Modell ist vielversprechend. Wir werden auf alle Fälle mit diesem Konzept weiter hart am Wind segeln. Anders gesagt, es weiterentwickeln. Umgekehrt wird die Digitalisierung Auswirkungen auf unser Live Format und die Veranstaltungspraxis haben.