20 JAHRE WERKRAUMTHEATER
DIE ÜBÜS – Ein schröcklich schauriges Königsdrama frei nach Alfred Jarrys Ubu roi
Chr. Hartner | Krone | 30.04.2015 | DIE ÜBÜS – Ein schröcklich schauriges Königsdrama frei nach Alfred Jarry´s Ubu roi
DIE ÜBÜS Wenn Clowns sich (und anderen) an die Gurgel gehen, um ihre Macht zu erhalten – Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner stehen bis zum 12. Juni im Grazer werkraumtheater als „Die Übüs“ auf der Bühne – frei nach Alfred Jarrys legendärem „Ubu roi“.
Die Machtspielchen der Clowns Putzkübel und Klobürste sind die pseudoroyalen Accessoires mit denen sich „Die Übüs“ auf den Thron schummeln. Frei nach Alfred Jarrys „Ubu roi“ bringen Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner vom Grazer Werkraumtheater eine Blödelei mit den Ausmassen eines shakespeareschen Dramas auf die Bühne.
Vater Übü war einst der König von anderswo und sowieso, doch das Schicksal hat ihn und seine Frau zu Behelfsadeligen degradiert. Völlig hemmungslos beginnen sie sich mit Putzkübel und Klobürste adjustiert wieder nach oben zu schummeln und sitzen schon bald wieder auf dem Thron und befehligen die Massen.
Doch bekanntlich kommt Hochmut vor dem Fall – auch wenn in diesem Stück das Ende noch lange nicht der Schluss ist.
Basierend auf dem bahnbrechenden absurden Theaterstück „Ubu roi“ nehmen Kanzian und Blauensteiner die sprachlichen Spuren von Alfred Jarrys „gezwirbelter Schreiße“ auf und fügen ihr hie und da Bezüge zur Gegenwart (NSA, Steuerreform) an. Die clowneske Aufmache des Duos unterstreicht mit schrillen Farben die absurde Hemmungslosigkeit, die so manche Eliten an den Tag legen, wenn es um das Erlangen und den Erhalt von Macht geht. Ihre Clowns sind Könige im Vorspielen falscher Tatsachen und entziehen sich mit royaler Gleichgültigkeit jeglicher Verantwortung.
Mit der sehenswerten Adaption „Die Übüs“ feiert das werkraumtheater auf gebührende Weise sein 20-jähriges Bestehen.“
Kleine Ztg. | 30.04.2015 | MACHTSPIELE wie im bunten Kinderzimmer
Absurd und albern tarnt sich ganz gemeine Gier.
Bei Franz Blauensteiners Vorliebe für „gequirlte Schreiße“ knurrt kein Hund hinterm Ofen. Anders 1896: Skandalös schlug „Merdre“ als Verballhornung von „merde“ (Scheiße) ein bei der Uraufführung von Alfred Jarrys „Ubu Roi“ (König Ubu).
Ungeahnt des Paukenschlags für eine neue, avantgardistische Theaterära des Absurden. Insofern kommt dem etwas aus der Zeit geratenen Stück besondere Bedeutung zu. Überdauert hat indes die über Leichen gehende Gier. Clever poliert das werkraum theater den Text gegenwartsbezogen auf und konzentriert sich in „Die Übüs“ auf die bürgerliche Ich-Gesellschaft. Die quirlig hintertriebene Rezka Kanzian – rothaarig und mit rosa Prinzessinnenkleid – sowie der behäbige, infantile Machtträumer Blauensteiner mit Pappkrone erinnern an Rollenspiele im bunten Kinderzimmer. Zwei omnipotente Galgenvögel, die mit albernem Zynismus zu bedrohlichen Klängen von tropfendem Wasser und Vogelgekreische dem skrupellosen Vorteilsdenken die blutigen Federn zupfen.
Ein „schröcklich schauriges Königsdrama“ im werkraum studio mit Biss.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Astrid Poier-Bernhard | 28.06.2015 | Institut für Romanistik, Karl-Franzens-Universität Graz
GUTEN TAG. Ich möchte in meiner Eigenschaft als Professorin für romanische Literaturwissenschaft am Institut für Romanistik Graz mit diesem Brief dafür plädieren das Grazer Werkraumtheater in Zukunft verstärkt zu unterstützen.
Erlauben Sie mir eine ausführliche Begründung, da mir die Vielfalt der Grazer Theaterlandschaft sehr am Herzen liegt und meinem Urteil dem Werkraumtheater sowohl im Hinblick auf die Auswahl seiner Stücke als auch im Hinblick auf die sprachlich wie körpersprachlich geleistete Theaterarbeit eine besondere Bedeutung zukommt.
Am 12.06. hatte ich Gelegenheit, im Grazer Werkraumtheater das von Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner inszenierte und gespielte Stück „Die Übus“ anzusehen.
Zunächst freue ich mich grundsätzlich außerordentlich darüber, dass ein Klassiker der Moderne, Alfred Jarry, mit seinem 1896 uraufgeführten „Skandalstück“ Ubu roi in Graz bzw. überhaupt unserem deutschsprachigen Kulturraum gespielt wird. Jarry ist hierzulande nicht allzu bekannt, hatte aber enormen Einfluss nicht nur auf einige seiner unmittelbaren Zeitgenossen, sondern auch auf zahlreiche Autoren und Künstler des 20. Jahrhunderts. Antonin Artaud gründete 1926 zusammen mit Roger Vitrac und Robert Aron ein „Théâtre Alfred Jarry“; Raymond Queneau formierte 1950 das sogenannte Collège de Pataphysique, das seither eine von Jarry (bzw. genaugenommen einer Figur Jarrys) erfundene Meta-Wissenschaft pflegt (vielleicht am ehesten verständlich als eine Philosophie, die sich nicht nur dem Realen, sondern auch dem Imaginären widmet). Dieses Collège de Pataphysique existiert noch immer und es ist nicht uninteressant, welche Autoren, Denker und Künstler des 20. Jahrhunderts ihm angehörten bzw. noch angehören: Marcel Duchamp, Max Ernst, M.C. Escher, Paul Claudel, Boris Vian, Michel Leiris, Jacques Prévert, Fernando Arrabal, Jean Baudrillard, Eugène Ionesco, Samuel Beckett, Dario Fo, Umberto Eco – u.v.a. Soviel zur Bedeutung Jarrys (ohne auf das Stück und seine groteske Ästhetik näher einzugehen, das u.a. das spätere „Theater des Absurden“ vorbereitet).
In meiner Vorlesung und Übung zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts wird Alfred Jarry zusammen mit Guillaume Apollinaire und Marcel Proust unter dem Titel „Eröffnungen der Morderne“ behandelt; Ubu roi ist eines der Theaterstücke auf der Leseliste.
Nun zur Inszenierung des Werkraumtheaters, die mich wirklich sehr beeindruckte. Ich hatte Ubu Roi bereits einmal in einem recht großen Theater in Paris gesehen und war von dieser Aufführung sehr angetan; im Vorfeld konnte ich mir kaum vorstellen, wie es gelingen sollte, das Stück zu einem 2-Personen-Stück umzuwandeln. Allein dies bedurfte dabei sicher einiger Kreativität – und gelang mit Requisiten ganz exzellent. Das ist jedoch nur ein Aspekt der Dramaturgie, die insgesamt perfekt aufging. Sehr ungewöhnlich und lobenswert war neben der visuellen Inszenierung durch filmische Einspielungen, Kostüme, Requisiten und Bühnengestaltung die Professionalität, die Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner sowohl in der anspruchsvollen sprachlichen Diktion, die das Stück Jarrys erfordert, als auch in der für die Groteske charakteristischen überzeichneten mimischen und gestischen Darstellung an den Tag legten.
Ich kenne die Grazer Theaterlandschaft recht gut, da ich mich seit Jahrzehnten dafür interessiere, möchte aber darauf hinweisen, dass ein kleines Theater, das auf dem Niveau von Kanzian und Blauensteiner literarisches Texttheater macht und Kulturgut der Moderne vermittelt, etwas ganz Besonderes ist, das eine verstärkte Förderung AUF JEDEN FALL verdient.